Ein Projekt der Kölner Journalistenschule

Rozvadov, Tschechien

Zocken zwischen Ost- und Westeuropa

Das kleine tschechische Dorf Rozvadov hat 750 Einwohner – und beherbergt das Casino mit dem größten Pokerraum Europas. Grund dafür ist nicht zuletzt die nahe deutsch-tschechische Grenze.

Von Max Hübner, Lidia Polito und Jan Schröder

Wer auf der Autobahn A6 nach Tschechien fährt, kann die Staatsgrenze leicht übersehen. Die großen Werbebanner für Casinos, Bordelle und günstige Zigaretten dagegen nicht. Gleich nach der Grenze befindet sich das 750-Seelendorf Rozvadov. Statt uriger, oberpfälzischer Dorfromantik mit Wirtshaus und Kirchturm wie auf der bayerischen Seite erwartet einen hier ein Rathaus aus Wellblech, triste Wohneinheiten und eine Hauptstraße voller Schlaglöcher. Der gewaltige Gebäudekomplex des „King’s Casino“ überragt alles.

Randnotizen ist ein Projekt des Jahrgangs 2016 der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Wir haben einen Blick an die Grenzen Deutschlands geworfen um zu erfahren, was unsere Nachbarn auf der anderen Seite umtreibt und bewegt. Aus jeder unserer Reisen ist eine Geschichte entstanden

2003 eröffnet, beherbergt das „King‘s Casino“ mit inzwischen 160 Pokertischen den größten Pokerraum Europas. Die Spielbank ist nicht nur ein Erlebnisort für tausende Hobby-Zocker, sondern Austragungsort von internationalen Poker-Turnieren und Treffpunkt für Prominente, nicht zuletzt wohl auch wegen des eigenen Helikopter-Landeplatzes. Unter anderem Boris Becker hat hier schon gespielt.

Steuern und Lohnkosten sind niedrig, vor allem aber profitiert die Spielbank von ihrer Lage an der Grenze. Rozvadov befindet sich auf einer Hauptverkehrsroute zwischen Ost- und Westeuropa.

Die meisten Glücksspieltouristen kommen deshalb aus dem nahen Deutschland. Mit seinen 1800 Quadratmetern und mehr als 200.000 Besuchern jährlich ist das Casino jetzt schon viel größer, als die Betreiber es früher für möglich gehalten hätten. „Und da ist noch immer Potenzial“, sagt der Casinomanager Michael Hanzik. Der Inhaber der Spielbank, Leon Tsoukernik, ist ein „alter Jugendfreund“ von ihm, sagt Hanzik, zudem selbst ein international bekannter Pokerspieler. Demnächst eröffnet Tsoukernik gleich gegenüber ein zweites Casino.

Menschen besuchen das Casino in der Woche.

Hanzik leitet das „King’s“ seit dem Jahr 2010 als Manager. Zuvor hatte er lange Zeit in den USA gelebt. Er wundert sich immer noch, was sich seit 1990 alles in seiner Heimat verändert hat und wie rasant das Casino gewachsen ist.

„Rozvadov ist nicht gerade ein glamouröser Ort“, sagt Hanzik. Im Innern des „King’s Casino“ dagegen liegen rote Samtteppiche aus, und im VIP-Bereich sind Wände, Türen und Wasserhähne vergoldet.

Auch die Kunstsammlung vom Besitzer Tsoukernik ist außergewöhnlich. Er stellt einen Teil seiner Kollektion im Casino aus. Wer rechnet schon damit, in der tschechischen Provinz plötzlich vor Originalen von Andy Warhol, Wassily Kandinsky und Gerhard Richter zu stehen?

Vor 1990 war Rozvadov zwischen West- und Ostblock in einem Mauerkorridor eingeschlossen, einer Art Puffer zwischen der direkten Grenze zu Westdeutschland und einer zweiten innertschechischen Grenze, die einige Kilometer östlich der Gemeinde selbst verlief. Damals wohnten hauptsächlich Grenzbeamte im Ort. Spätestens nach dem Beitritt zum Euroraum waren es dann neben dem Casino vor allem Tankstellen, die das Bild des ehemaligen Grenzdorfs bestimmten. Spirituosen- und Tabakgeschäfte schossen aus dem Boden. Ein sogenannter Asiamarkt verkauft bis heute hauptsächlich gefälschte Markenprodukte. Die Geschäfte leben von deutschen Kunden, wie viele Besitzer sagen.

Ähnlich ist es mit dem Casino. Einheimische betreten es fast ausschließlich zum Arbeiten. Der Großteil der 300 Mitarbeiter kommt indes aus den unterschiedlichsten Ländern der Welt. Fremdsprachenkenntnisse sind eine Grundvoraussetzung, um hier arbeiten zu können. Die Croupiers sind angehalten, an den Spieltischen Englisch oder Deutsch mit den Gästen sprechen.

Immerhin stehen rund 100 der 750 Einwohner Rozvadovs im „King’s“ in Lohn und Brot. Das Casino zahlt Steuern an die Gemeinde. In Zukunft wollen die Betreiber ihr Geschäft weiter ausbauen und sich besonders in der Pokerszene international etablieren. „Rozvadov ist durch das Casino heute als Name in aller Welt bekannt“, sagt Manager Hanzik stolz. „Wir haben sogar eine Pokerlounge in Las Vegas, die nach unserem kleinen Dorf benannt ist.“

Doch der Casinomanager weiß auch, dass viele Einheimische die Entwicklung skeptisch sehen. Aus einem kleinen Vorposten an der Grenze zum Klassenfeind, in dem auch noch viele linientreue Staatsbeamte wohnten, ist ein Mini-Vegas geworden. Menschen wie Borivoj Vrabec betrachten das Casino mit Argwohn, das wie ein riesiger Fremdkörper wirkt. Er ist Bürgermeister und Mitglied der Kommunistischen Partei Tschechiens. Zwar hat er dem Casino die Genehmigung erteilt. Sein Unmut und der anderer Einheimischer richtet sich aber auch weniger gegen das Glücksspiel selbst, von dem die Gemeinde profitiert, sondern vielmehr gegen die Glücksspieltouristen.

Die Entwicklung kann nicht zurückgedreht werden.

Frantisek Thrlik, Bürgermeister von Kostelec

Im 30 km entfernten Nachbarort Kostelec hat die Gemeinde das Glückspiel bereits wieder verboten.

„Wir hatten einige Spielautomaten bei uns in der Gemeinde“, sagt Bürgermeister Frantisek Thrlik, ebenfalls Kommunist. „Und ich habe gesehen wie die Leute erst süchtig, dann pleite und dann kriminell wurden.“ Den Casino-Touristen, die nur zum Saufen und Spielen in die Stadt kommen, wiederum seien die Einheimischen egal, klagt Thrlik. Sie machten Lärm, verhielten sich rücksichtslos, seien für die Bewohner eine Belastung. „Die Glücksspielerlaubnis wurde ja schon erteilt, und jetzt ist es zu spät“, sagt Thrlik. „Die Entwicklung kann nicht zurückgedreht werden.“ Womöglich hat sie sogar gerade erst begonnen. Denn Casinomanagers Hanzik ist auf Wachstum eingestellt.

Eine kleine Reise durch das King‘s Casino
Randnotizen

Randnotizen ist ein Projekt des Jahrgangs 2016 der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Wir haben einen Blick an die Grenzen Deutschlands geworfen um zu erfahren, was unsere Nachbarn auf der anderen Seite umtreibt und bewegt. Aus jeder unserer Reisen ist eine Geschichte entstanden

Rozvadov

Unsere Autoren

Max Hübner, Lidia Polito und Jan Schröder

Rozvadov wirkt auf den ersten Blick ziemlich trostlos und grau. Doch es stimmt schon: Wenn man genauer hinsieht bemerkt man die Schule, die nicht weit vom Casino liegt, ein Wohngebiet, das gerade neu aufgezogen wird, einen neuen Spielplatz, einen Platz mit einem Brunnen. Für unseren Besuch im nahegelegenen Kostelec sind wir an weiten Feldern mit Blumen und hohen Bäumen vorbei gefahren, an Seen und grünen Hügeln. Tschechien bietet vielmehr als das allgemeine Klischee vermuten lässt.

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