Seit Jahrzehnten fahren täglich tausende Deutsche zur Luxemburgischen Grenzstadt Wasserbillig, um ihr Auto dort günstig vollzutanken oder billig einzukaufen. Das hat nicht nur positive Auswirkungen auf die kleine Stadt.
Jerome Laurent hat sein Büro ganz oben, hier im Gebäude der Gemeinde Mertert-Wasserbillig. Der Bürgermeister steht am Fenster, schaut auf die Hauptstraße hinaus, die Grand-Rue. Ständig rauschen Autos vorbei, immer wieder tuckern riesige Laster in Richtung Stadtgrenze. Ihr Ziel: eine der insgesamt zwölf Tankstellen. „Um sieben Uhr geht es mit dem Lärm hier los, um 19 Uhr hört es dann langsam auf“, sagt Laurent. Nur gut 5000 Menschen leben in der Stadt an der deutschen Grenze, ganz in der Nähe von Trier. Fünfmal so viele Autos fahren jeden Tag durch.
Seit Jahrzehnten hat die Stadt mit dem Tanktourismus zu tun. Freitagnachmittags und samstags sei es besonders schlimm, sagt Laurent. Dann stauen sich die Autos bis zur Brücke, es geht nur stockend voran. An der Stadtgrenze blinken die Werbetafeln der Tankstellen. Die Preise leuchten in bunten Farben: blau, gelb und rot. „Las Vegas Avenue“, nennen Einheimische wie Laurent die Tankstellenmeile.
Randnotizen ist ein Projekt des Jahrgangs 2016 der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Wir haben einen Blick an die Grenzen Deutschlands geworfen um zu erfahren, was unsere Nachbarn auf der anderen Seite umtreibt und bewegt. Aus jeder unserer Reisen ist eine Geschichte entstanden.
Für die Deutschen ist es billiger, in Luxemburg zu tanken. Dort legt das Wirtschaftsministerium täglich den Höchstpreis von Kraftstoffen fest. Der Preisunterschied zu Tankstellen im nahen Trier liegt meist bei mehr als 20 Cent pro Liter. Auch Kaffee, Zigaretten und andere Lebensmittel sind in Luxemburg günstiger.
Während sich in Wasserbilligs Las Vegas Avenue die Autos stauen, ist die Innenstadt wie ausgestorben. Die Geschäfte sind leer, manche Schaufenster sind eingeschlagen, und die Gardinen wehen im Wind. Die Häuser sind schmutzig, an ihnen klebt grauer Staub. An vielen Fassaden hängen „Zu Verkaufen“-Schilder. Bürgermeister Laurent kann die Leute verstehen: „Wer möchte bei dem Lärm und Gestank direkt vor dem Geschäft schon den ganzen Tag arbeiten?“
Aktuell überlegt der Gemeinderat, die Grenzbrücke für LKW ab 7,5 Tonnen zu sperren. Außerdem lässt er in der Innenstadt jetzt die Feinstaubwerte messen – sie überschreiten regelmäßig die zulässigen Höchstgrenzen.
Es gab Zeiten, da fuhren sogar Kölner bis nach Wasserbillig, um zu tanken und einzukaufen. Ungefähr 40 Cent weniger zahlten sie pro Liter. Als goldene Zeiten des Grenzgeschäfts gelten die 1970er Jahre. Obwohl das Schengen-Abkommen noch nicht in Kraft war, kamen viele Deutsche. Manche kauften kiloweise Zigaretten und Butter, sagen Zeitzeugen.
Frankreich, Deutschland und die Benelux-Staaten einigten sich 1985 in der luxemburgischen Stadt Schengen darauf, die Personenkontrollen an den Grenzen abzuschaffen. Inzwischen gehören 26 Staaten dem Abkommen an. Grundsätzlich ist es erlaubt, Waren aus EU-Mitgliedsstaaten mitzubringen. Es gibt allerdings Mengen-Einschränkungen, insbesondere bei Kraftstoffen, Tabak und Alkohol.
Die Zapfsäulen standen damals direkt neben den Wohnhäusern. Bis ein Bürgermeister beschloss, die Tankstellen alle an einen Ort zu verbannen. Aus einer Sandgrube wurde ein Industriegebiet mit Tankstellen und Supermärkten. Seitdem müssen die Deutschen komplett durch die Stadt fahren. Viele Einwohner verstehen die Entscheidung bis heute nicht. „Hinterher zu meckern ist immer leicht“, rechtfertigt der ehemalige Bürgermeister Gust Stefanetti seinen Vorgänger. Sein ganzes Leben hat er gegen die Zapfsäulen gekämpft. Er hat gesehen, wie die kleine Stadt wuchs und wucherte. Und er war auch dabei, als der Gemeinderat Anfang 2000 einstimmig beschloss, keine weiteren Lizenzen auszugeben. Einmal platzte ihm der Kragen. Er forderte, dass jeder Tankstellenbesitzer einen Cent pro Liter an die Gemeinde abgeben sollte. Durchgekommen ist er damit nicht.
Den heutigen Bürgermeister Laurent stört nicht nur der Verkehr. „Die Konzerne haben ihren Sitz in größeren Städten und zahlen dort ihre Steuern“, sagt er. Läuft aber in Wasserbillig ein Tank über, muss die städtische Feuerwehr ausrücken – auf Kosten der Gemeinde. Tun kann Laurent wenig. Denn bei der Grand-Rue handelt es sich um eine Nationalstraße. Und für die ist in Luxemburg der Staat zuständig.
Die Journalistin Anne-Aymone Schmitz ist in Wasserbillig aufgewachsen und beschäftigt sich oft mit dem Tanktourismus. Sie kann sich nicht vorstellen, dass die Regierung Luxemburgs den Preis für Sprit jemals auf ein ähnliches Niveau wie in Deutschland anhebt. „Der Staat verdient zu viel daran.“ Laut einer von der Regierung in Auftrag gegebenen Studie von 2016 nimmt das Herzogtum durch den Tanktourismus jedes Jahr circa 2,1 Milliarden Euro ein. Dabei profitiert der Staat von den Steuern auf Benzin, Diesel aber auch anderen an Tankstellen erhältlichen Produkten. Löhne und Gehälter tragen zudem ungefähr 0,26 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Quelle: Studie „Ermittlung und Bewertung der positiven und negativen Wirkungen des Treibstoffverkaufs unter besonderer Berücksichtigung negativer externer Umwelt- und Gesundheitseffekte – Status Quo 2012 und Maßnahmeinduzierte Veränderungen“, Dieter Ewringmann, 2016
In Wasserbillig selbst profitieren dagegen nur wenige Einwohner von dem Geschäft mit dem Sprit. Denn die meisten Besitzer und Mitarbeiter der Tankstellen sind Deutsche. Laurent und Schmitz wissen nur von zwei Luxemburger Betreibern.
Claude Weber verdient immerhin indirekt am Tanktourismus. Er verkauft in seinem Laden an der Grand-Rue vor allem Tabakwaren, Alkohol und Kaffee – alles wegen der niedrigeren Mehrwertsteuer günstiger als in Deutschland. Die Stange Zigaretten bekommt man rund zehn Euro billiger. Die Deutschen machen etwa 85 Prozent seines Umsatzes aus. Aber die Geschäfte laufen immer schlechter. Moderne Autos verbrauchen weniger, und der Preisunterschied sinkt. Am Horizont erscheinen schon die Elektroautos. „Wenn die Tankstellen verschwinden“, sagt Weber, „werde ich wohl drei Mädels entlassen müssen.“
Bürgermeister Laurent hofft insgeheim auf diesen Wandel. In einigen Jahren, weiß er, werden Autos mit alternativen Kraftstoffen fahren, und kaum einer wird die Tankstelle noch brauchen. „Niemand wird bei uns stundenlang sein Elektroauto aufladen.“ Vielleicht, hofft Laurent, kommen ja dann richtige Touristen. Nicht um zu tanken, sondern um auf den Wanderwegen zu spazieren, an der Sauer oder Mosel zu angeln und in den Wasserbilliger Restaurants essen zu gehen.
Randnotizen ist ein Projekt des Jahrgangs 2016 der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Wir haben einen Blick an die Grenzen Deutschlands geworfen um zu erfahren, was unsere Nachbarn auf der anderen Seite umtreibt und bewegt. Aus jeder unserer Reisen ist eine Geschichte entstanden.
Frankreich, Deutschland und die Benelux-Staaten einigten sich 1985 in der luxemburgischen Stadt Schengen darauf, die Personenkontrollen an den Grenzen abzuschaffen. Inzwischen gehören 26 Staaten dem Abkommen an. Grundsätzlich ist es erlaubt, Waren aus EU-Mitgliedsstaaten mitzubringen. Es gibt allerdings Mengen-Einschränkungen, insbesondere bei Kraftstoffen, Tabak und Alkohol.
Als wir zur Recherche nach Wasserbillig aufbrachen, war uns nicht bewusst, wie sehr Tanktourismus dem Gemeindeleben einer Stadt schaden kann. Doch Wasserbillig sieht gerade an der Grenze, wo es extrem viel Durchgangsverkehr gibt, aus wie ausgestorben. Das Schlimme: Niemand scheint einen Ausweg zu kennen. Die Menschen sind mit den Tankstellen aufgewachsen und haben sich mit der Situation abgefunden. Durch unsere Nachforschungen haben wir gelernt, dass mit Konsum auch Verantwortung einhergeht.
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