Direkt hinter Aachen lebt eine Minderheit von 76 000 Belgiern, deren Muttersprache deutsch ist. Ihr Sprachgebiet heißt Deutschsprachige Gemeinschaft und hat ein eigenes Parlament mit Ministerpräsident. Doch die deutschsprachigen Belgier wollen noch mehr Autonomie.
Aus den Lautsprechern läuft „Mr. Brightside“ von The Killers, es gibt belgisches Bier und Guinness, in der Ecke steht ein Tischkicker. Der Pub in Eupen, Ostbelgien, ist für einen Dienstagabend gut gefüllt. Die Gäste sind überwiegend jung. „Wir hätten heute eigentlich Training gehabt, aber waren nur zu dritt. Dann lieber Kneipe“, sagt ein 17-jähriger Schüler. Bald mache er seinen Abschluss. Wo er dann studiert, steht für ihn noch nicht fest. Lüttich klinge gut, aber er habe Angst, an Französisch zu scheitern. Denn der Jugendliche gehört zur deutschsprachigen Minderheit.
Anders als in Deutschland wird in Belgien nicht nur eine Sprache gesprochen. Die Belgier, die in der Nähe der Niederlande leben, sprechen niederländisch. In der Nähe Frankreichs ist Französisch die Amtssprache, die Hauptstadt Brüssel ist zweisprachig. Beide Sprachgebiete sind gleichzeitig mit politischen Befugnissen ausgestattet und heißen Gemeinschaften. Doch es gibt noch eine dritte, wenn auch kleinere Gemeinschaft: die Deutschsprachige. Auch wenn sie mit 76 000 Bürgern weniger hat als Castrop-Rauxel, darf sie in Fragen der Kultur, Bildung, Sprache, Gesundheit und des Sozialen autonom entscheiden.
Randnotizen ist ein Projekt des Jahrgangs 2016 der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Wir haben einen Blick an die Grenzen Deutschlands geworfen um zu erfahren, was unsere Nachbarn auf der anderen Seite umtreibt und bewegt. Aus jeder unserer Reisen ist eine Geschichte entstanden.
Es gibt drei Amtssprachen in Belgien: Niederländisch, Französisch und Deutsch. Jedes der drei Gebiete Belgiens, in denen jeweils eine der Sprachen gesprochen wird, hat als sogenannte Gemeinschaft eigene politische Kompetenzen, etwa zu Kultur und Bildung. Gleichzeitig ist Belgien aber auch in drei Regionen unterteilt: Flandern, Wallonien und Brüssel. Grund für diese zusätzliche Unterteilung ist, dass in Brüssel Französisch und Niederländisch gesprochen wird. Die Regionen haben ebenfalls eigene politische Befugnisse. Sie stellen Bebauungspläne auf und können die Landwirtschaft regeln. Allerdings sind Regionen und Gemeinschaften geographisch nicht deckungsgleich. Deshalb steht die deutschsprachige Gemeinschaft gleichzeitig unter der Verwaltung der Region Wallonien.
Bei wirtschaftlichen Angelegenheiten, in der Landwirtschaft, Umwelt und Raumordnung hat die Deutschsprachige Gemeinschaft allerdings nichts zu sagen. Denn diese Kompetenzen haben nur Regionen. Regionen sind so etwas wie die deutschen Bundesländer und werden, anders als die Gemeinschaften, nicht nach Sprache definiert. Die drei Regionen Brüssel, Flandern und Wallonien, sind also geografisch nicht deckungsgleich mit den Gemeinschaften. So kommt es, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft ein Teil des größtenteils französischsprachigen Walloniens ist.
Ab dem ersten Schuljahr wird an Schulen der Deutschsprachigen Gemeinschaft Französisch unterrichtet. „Das reicht aber nicht, um auf Französisch zu studieren“, sagt der 17-jährige Schüler im Eupener Pub und nippt an seinem Bier. Die meisten seiner Bekannten, die in Lüttich zur Uni gehen, fallen in den ersten beiden Semestern aufgrund der Sprachbarriere durch die Prüfungen. „Ich glaube, die Politik würde das Problem ernster nehmen, wenn wir auch eine eigene Region wären.“
Alexander Miesen weiß, dass solche Probleme auf der Agenda der Brüsseler Zentralregierung nicht gerade ganz oben stehen. Er ist Präsident des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft und kämpft täglich mit den bürokratischen Hürden, die entstehen, weil die Deutschsprachige Gemeinschaft keine Region ist. „Dadurch, dass die Region Wallonien in Teilbereichen über unsere Deutschsprachige Gemeinschaft entscheidet, können wir keine kohärente Politik machen.“
Ein Beispiel: Stellt das deutschsprachige Parlament ein Gebäude unter Denkmalschutz, kann die Region Wallonien, die die Kompetenz über die Raumordnung hat, es aber trotzdem zum Umbau freigeben. Zwar baut die Deutschsprachige Gemeinschaft seine eigenen Schulen, aber die Region Wallonien darf entscheiden, wo und wie genau gebaut wird. Immerhin ist dabei Besserung in Sicht: „Wir sind kurz davor, von den Wallonen die Kompetenz über die Raumordnung erteilt zu bekommen“, freut sich Miesen. Langfristig hat der Politiker aber größere Ziele: „Wir wollen zur vierten Region Belgiens werden.“
Sein Vorbild ist die Schweiz. Dort haben alle Kantone dieselben Kompetenzen, egal, wie groß sie sind oder wie viele Einwohner sie haben. So hat Appenzell Innerrhoden mit 16 000 Einwohnern dieselben Zuständigkeiten wie Zürich mit über einer Million Einwohnern. Dass die deutsche Gemeinschaft mit so vielen Kompetenzen überfordert sein könnte, glaubt Miesen nicht: „Der Schlüssel ist Vereinfachung.“ Die Deutschsprachige Gemeinschaft bemühe sich mehr als die anderen Gemeinschaften, bürokratische Hürden zu beseitigen.
Doch nicht alle Ostbelgier sind für die eigene Region. „Ich sehe es nicht als vernünftigen Weg, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft eine Region wird“, sagt Colin Kraft, Fraktionssekretär und Spitzenkandidat der Christlich-Sozialen-Partei Ostbelgiens (CSP). Obwohl sie die meisten Sitze im Parlament hat, ist die CSP seit zwanzig Jahren in der Opposition. Denn anders als ihre politischen Konkurrenten vertritt sie das Prinzip „Autonomie nach Maß.“ Kraft und seine Parteigenossen finden: Die Deutschsprachige Gemeinschaft wäre mit Kompetenzen wie Landwirtschaft überfordert. Außerdem sei sie „chronisch finanziell klamm“, sagt Kraft. Er habe den Eindruck, dass sie auch deshalb nach mehr Kompetenzen schreie, weil dadurch mehr Geld in ihre Kassen fließen würde. Kraft bezweifelt, ob das Geld überhaupt vollständig für die vorgesehenen Zuständigkeitsbereiche genutzt würde.
„Diese Kritik ist vollkommen unberechtigt“, wehrt sich Lydia Klinkenberg, stellvertretende Vorsitzende der ausschließlich ostbelgischen Partei ProDG. Sie ist überzeugt, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft in der Lage wäre, auch alle regionalen Kompetenzen auszuüben. Schon jetzt übe die Deutschsprachige Gemeinschaft teils regionale Befugnisse aus.
Das heutige Ostbelgien war 1815 durch den Wiener Kongress an das Königreich Preußen gefallen und 1871 im Deutschen Kaiserreich aufgegangen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das ostbelgische Gebiet gemäß des Versailler Vertrags wieder belgisches Staatsgebiet. Die deutsche Sprache blieb Ostbelgien jedoch erhalten.
Ob die Deutschsprachige Gemeinschaft wirklich bald eine eigene Region wird, steht in den Sternen. „Die Chancen stehen 50 zu 50“, sagt Professor Ralph Rotte, Politikwissenschaftler an der RWTH Aachen. Schon jetzt habe die Gemeinschaft viele Kompetenzen der Region Wallonien übernommen, sagt Rotte. „Da wäre die offizielle Anerkennung als Region nur noch eine Formalie.“
Randnotizen ist ein Projekt des Jahrgangs 2016 der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Wir haben einen Blick an die Grenzen Deutschlands geworfen um zu erfahren, was unsere Nachbarn auf der anderen Seite umtreibt und bewegt. Aus jeder unserer Reisen ist eine Geschichte entstanden.
Es gibt drei Amtssprachen in Belgien: Niederländisch, Französisch und Deutsch. Jedes der drei Gebiete Belgiens, in denen jeweils eine der Sprachen gesprochen wird, ist eine sogenannte Gemeinschaft und hat eigene politische Kompetenzen, etwa zu Kultur und Bildung. Gleichzeitig ist Belgien aber auch in drei Regionen unterteilt: Flandern, Wallonien und Brüssel. Die Regionen haben ebenfalls politische Befugnisse. Sie stellen Bebauungspläne auf und können die Landwirtschaft regeln. Regionen und Gemeinschaften sind geographisch aber nicht deckungsgleich.
Das heutige Ostbelgien war 1815 durch den Wiener Kongress an das Königreich Preußen gefallen und 1871 im Deutschen Kaiserreich aufgegangen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das ostbelgische Gebiet gemäß des Versailler Vertrags wieder belgisches Staatsgebiet. Die deutsche Sprache blieb Ostbelgien jedoch erhalten.
Wir sind beide schon vorher nach Belgien gereist. Dass es einen deutschsprachigen Teil Belgiens gibt, der auch noch eigene politische Kompetenzen hat, wussten wir aber nicht. Bei unserer Recherche in Eupen haben wir, obwohl alle Ansprechpartner deutsch sprachen, trotzdem das klassische Belgien erlebt: Mit Backsteinhäusern, gutem Bier und entspannten Menschen.
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