Die Schweiz und die EU haben es sich noch nie leicht miteinander gemacht. Nachdem sie sich mit Verträgen angenähert haben, werben immer mehr Schweizer Politiker für eine klarere Abgrenzung. Was halten die Menschen in der Grenzstadt Basel davon?
Eine Spurensuche.
Dutzende Schweizer Flaggen flattern über dem Markplatz in Basel. Das leuchtend rote Rathaus, das durch die Erker, Wandgemälde und goldenen Türme ohnehin schon pompös ist, wirkt noch mächtiger. Es ist Sitzungswoche. Alexander Gröflin, einer der jüngsten Abgeordneten der konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), schreitet stolz auf die Statue von Johann Rudolf Wettstein zu, der einst die formelle Unabhängigkeit der Schweiz erkämpft hat. „Er hat das vollbracht, was die Schweiz heute erfolgreich macht“, sagt Gröflin.
Schon mit 21 Jahren ist der junge Konservative in den Großen Rat seines Kantons eingezogen. Gröflin wusste immer genau, für was er steht, und für was eben nicht. Ihm geht es um Werte. Für ihn sind die Kerngedanken der Schweiz Neutralität, direkte Demokratie und vor allem: Eigenständigkeit. „Ich bin sehr konservativ“, sagt er. „Nicht mehr so stark wie früher, aber immer noch großer Verfechter der schweizerischen Identität.“ Heute gehört Gröflin zu denen, die immer lauter fordern, dass die Schweiz wieder souveräner werden muss.
Randnotizen ist ein Projekt des Jahrgangs 2016 der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Wir haben einen Blick an die Grenzen Deutschlands geworfen um zu erfahren, was unsere Nachbarn auf der anderen Seite umtreibt und bewegt. Aus jeder unserer Reisen ist eine Geschichte entstanden.
Beim Studium in London verfestigte sich Gröflins Weltbild. „Ich habe gemerkt, wie tief der Grundgedanke des Empires und der Weltmacht noch in den Köpfen der Briten verankert ist“, erinnert er sich. „Sie wollten sich ständig der EU beweisen und haben sich schließlich mit dem Brexit durchgesetzt.“ Er blickt von der Tribüne des Rates in den Saal, der perfekt zu den Fassaden in der Altstadt passt, in der eine kleine Zweizimmerwohnung schnell eine Millionen Franken kosten kann.
Die Zweizimmerwohnung von Vally Wyss am Tor zur Basler Altstadt liegt in einer anderen Preisklasse: Die 84-Jährige, die seit ihrer Geburt in der Grenzstadt lebt, freut sich, dass sie heute problemlos auf die deutsche Seite fahren kann, um einzukaufen. Lebensmittel wie Eier oder Milch kosten dort nämlich nur die Hälfte. Vor 70 Jahren ging das noch nicht. Es gab deutlich mehr Auflagen, vor allem bei der Ein- und Ausfuhr von Waren. So durfte man zum Beispiel monatlich nur 50 Gramm Kaffee über die Grenze bringen. 1948 passierte Wyss zum ersten Mal den Übergang nach Deutschland, mit zittrigen Knien. Inzwischen merkt sie es kaum noch, wenn sie in ihrem silbernen Polo auf die andere Seite fährt, wo ihr Lebensgefährte Kurt Held wohnt. Die beiden haben sich über Freunde kennengelernt und besuchen sich jetzt grenzüberschreitend.
Die Schweizer können sich nach ihrem Einkauf in Deutschland die Mehrwertsteuer zurückerstatten lassen. Hierzu müssen sie die Kassenzettel am Zoll vorlegen und nachweisen, dass sie im Ausland wohnen. Mit dem Stempel kann der Kunde zurück ins Geschäft und erhält den Steuer-Betrag zurück.
Der deutsche Zoll liegt am Stadtrand, mitten im Industriegebiet. Durch das Schengener Abkommen, dem auch die Schweiz 2004 beigetreten ist, finden hier kaum noch Kontrollen statt. Stattdessen stempeln die Zöllner in der Grenzstadt Weil am Rhein täglich tausende Ausfuhrkassenzettel ab, mit denen die Grenzgänger ihre Mehrwertsteuer erstattet bekommen. Mehr als sechs Millionen Scheine gingen 2016 im Bezirk Lörrach an die Mitarbeiter, die heute wenig mehr tun, als stundenlang Stempel für Stempel zu setzen. Die Grenze wirkt hier nur noch wie eine lästige Formalität. „Ich hatte Angst, bei der Arbeit zu verblöden“, sagt ein Zöllner, der seinen Namen nicht nennen will. Sprechen darf Randnotiz offiziell mit keinem der Mitarbeiter. „Es will nicht jeder auf Drogensuche gehen oder im Büro arbeiten“, wiegelt eine Zoll-Sprecherin ab. „Jeder arbeitet nun mal gerne in einem anderen Bereich, der eine mag das lieber, der andere das.“
Die Schweiz ist eines von 15 europäischen Ländern, die nicht Mitglied der EU sind. Allerdings gibt es mehrere Abkommen auf wirtschaftlicher, politischer und kultureller Ebene. Die Bekanntesten sind die Bilateralen Abkommen I (1999) und II (2004). Darin sind zum Beispiel der Abbau von Handelshemmnissen, die gemeinsame Betrugsbekämpfung und die Personenfreizügigkeit geregelt. Seit dem Beitritt in den Schengen-Raum sind die Grenzen offen.
Den jungen Schweizer Konservativen Alexander Gröflin stört, dass die schweizerisch-deutsche Grenze ihren Namen aus seiner Sicht im Grunde nicht mehr verdient. „Als ich vor Schengen über die Grenze gefahren bin, stand immer ein Zöllner an der Durchfahrt“, sagt Gröflin. „Heute sehe ich kaum noch jemanden.“ Klar, die EU seien der wichtigste Handelspartner der Schweiz, die Grenzöffnung habe viele wirtschaftliche Vorteile gebracht. Aber jetzt könne eben jeder problemlos die Grenze passieren – auch Kriminelle. Gleichzeitig könnten Bürger aus anderen Staaten nur sehr schwer in die Schweiz einreisen oder dort arbeiten, ärgert er sich. Der 33-Jährige arbeitet im Hauptberuf am Lehrstuhl für Informatik und Mathematik der Universität in Basel – und schimpft: „Ich kann einen Top-Informatiker aus den USA schwieriger einstellen als einen Deutschen mit einer durchaus geringeren Bildung. Und das nur, weil uns ein bilateraler Vertrag im Weg steht.“ Statt noch mehr Annäherung will er wieder mehr Distanz. Es gehe ihm darum, „unsere alten Werte“ zu bewahren, beteuert Gröflin.
Die Basler Politikerin und Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter, ebenfalls an der deutschen Grenze aufgewachsen und Mitglied der Christlich-Demokratischen Volkspartei (CVP), hält solche Aussagen für gefährlich. Auch sie hält die „alten Werte“ der Schweiz in Ehren, will sie aber weiterentwickeln. „Normalerweise haben Menschen, die wie ich in Basel aufgewachsen sind, weniger Berührungsängste“, sagt Schneider-Schneiter. „Ständig sind wir mit verschiedenen Sprachen in Berührung.“ Doch auch in ihrer Heimat falle ihr auf, dass die Leute zunehmend nationalistisch denken. „Das nimmt zu. In vielen europäischen Städten“, sagt sie.
In Zukunft sei deshalb eine enge Zusammenarbeit mit der EU wichtig. Die Fronten seien jedoch zunehmend verhärtet. Die EU verstehe ihre direkte Demokratie nicht. Vorgaben aus Brüssel und Volksabstimmungen im Land könnten sich gegenseitig blockieren. Durch bilaterale Verträge könnte der Eindruck entstehen, dass sich die Schweiz nur die Vorteile der Union sichern möchte, meint Schneider-Schneiter. „Die EU sieht uns als Rosinenpicker, und das muss sich ändern.“ Doch gerade dieses Bild vermitteln Politiker wie Alexander Gröflin: Wirtschaftliche Vorteile: Ja. Aber bei Nachteilen: Bloß nicht dabei sein.
Randnotizen ist ein Projekt des Jahrgangs 2016 der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Wir haben einen Blick an die Grenzen Deutschlands geworfen um zu erfahren, was unsere Nachbarn auf der anderen Seite umtreibt und bewegt. Aus jeder unserer Reisen ist eine Geschichte entstanden.
Die Schweizer können sich nach ihrem Einkauf in Deutschland die Mehrwertsteuer zurückerstatten lassen. Hierzu müssen sie die Kassenzettel am Zoll vorlegen und nachweisen, dass sie im Ausland wohnen. Mit dem Stempel kann der Kunde zurück ins Geschäft und erhält den Steuer-Betrag zurück.
Die Schweiz ist eines von 15 europäischen Ländern, die nicht Mitglied der EU sind. Allerdings gibt es mehrere Abkommen auf wirtschaftlicher, politischer und kultureller Ebene. Die Bekanntesten sind die Bilateralen Abkommen I (1999) und II (2004). Darin sind zum Beispiel der Abbau von Handelshemmnissen, die gemeinsame Betrugsbekämpfung und die Personenfreizügigkeit geregelt. Seit dem Beitritt in den Schengen-Raum sind die Grenzen offen.
Altstadtfassade, blitzsaubere Kopfsteinpflaster und kristallklares Brunnenwasser. Unser Eindruck von Basel: Teuer, elegant und historisch. Doch als wir in Richtung Grenze fahren merken wir schnell, dass es auch anders aussehen kann. Schmutzige Seiteneingänge, brüchige Straßen, Industriegebiet. Und mittendrin der deutsche Zoll. Für die Beamten ist die Grenze technische Bürokratie; einige Politiker fordern, wieder mehr zu kontrollieren. Unser Fazit: Das Land muss sich noch darüber klar werden, ob es weiter mit seinen Nachbarn zusammenrücken oder sich wieder abschotten möchte.
Österreicher verdienen 30 Prozent weniger als ihre bayerischen Nachbarn, gleich hinter der deutschen Grenze in Salzburg. Nur wenige Menschen wissen das. Und kaum jemand kann das Phänomen erklären.
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Seit Jahrzehnten fahren täglich tausende Deutsche zur Luxemburgischen Grenzstadt Wasserbillig, um ihr Auto dort günstig vollzutanken oder billig einzukaufen. Das hat nicht nur positive Auswirkungen auf die Stadt.